Eine Spinne im Messwein (TA-Artikel)

Artikel im Tages-Anzeiger vom 10.01.2017 – mit freundlicher Genehmigung der TA-Redaktion.

Eine Spinne im Messwein

Beethoven hätte sich über das Gehörte bestimmt gefreut. Konrad vielleicht weniger. Der Kirchencheck unserer Redaktorin.

Gabriella Hofer

«Wer ist Konrad?», frage ich einige Gottesdienstbesucher, die am Samstag zur Abendandacht in die nach ihm benannte Kirche kommen. «Irgendein Heiliger», lautet die erste Antwort. «Keine Ahnung», sagt eine Frau, «aber kommen Sie doch am Donnerstag noch mal vorbei.» Sie weist zum Anschlagkasten, auf einen Flyer: «Gesprächsangebot Offenes Ohr, jeden Donnerstag um 17 Uhr», lese ich. Dort könne ich auch solche Fragen stellen, meint sie noch. Ein älterer Mann – ich sehe ihm an, wie er zu grübeln beginnt – kommt zum Schluss: «Der Name sagt mir grad nichts. Aber er macht es gut.» – «Konrad?» – «Nein, der Pfarrer, man versteht immer, was er sagt.» – «Wie heisst er?» – «Das weiss ich nicht.»

Er heisst Thomas Ebneter, und er ist seit 2014 Pastoralassistent in St. Konrad. In seiner Predigt geht es um die «Taufe des Herrn». Sie enthält zwar nichts speziell Überraschendes, aber er versteht es, Bibel und Aktualität zu paaren.

Nicht wie in der «Arena»

Im Bericht über den Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu zeichnet Matthäus (Mt. 3, 13–17) auf, was die Taufe – die laut Ebneter «ziemlich so passiert ist» – für den «Gottesknecht» bedeutet: Er nimmt Verantwortung auf und lebt Gerechtigkeit und Liebe vor. «Er schreit nicht und lärmt nicht, (. . .) das geknickte Rohr zerbricht er nicht», heisst es in Jesaja ( Jes. 42, 1–9). Hier überschneide sich Jesu Geschichte mit der unseren, sagt der Prediger. Es sei zwar schwierig, in unserer heutigen Welt einen solchen Regenten zu finden. «In der ‹Arena› im Schweizer Fernsehen sieht man Politiker und Politikerinnen, die laut reden und sich gegenseitig ins Wort fallen.» Hat er, wie ich tags zuvor, die Zukunfts-«Arena» mit den keifenden Jungpolitikern gesehen? Da schwindet doch jede Hoffnung! Wenig trostreich auch sein Szenario zu den geknickten Rohren; von älteren Arbeitsuchenden und Menschen mit Defiziten, die nur schwer eine Stelle finden. Thomas Ebneter indes scheint überzeugt zu sein, dass «wir der Liebe Gottes gewiss sein dürfen» und längerfristig das Recht siegen werde. Kirchliches Geschwurbel? Nein, Glaubenssache. Bei seinem Bekenntnis bleibt Ebneter stets auf dem Boden, verzichtet auf steifes Ritual. Das Vaterunser kündigt er als «Tischgebet» an und nicht mit dem formalen «Beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat». Bei der Gabenverteilung lässt er es sich nicht nehmen, einer Besucherin noch rasch ein «Danke für die Neujahrswünsche» zuzuflüstern. Die Gemeinde singt «O du fröhliche»; am lautesten hört man die text– und melodiesichere Stimme des Geistlichen. Fast so, als wollte er seine Zuversicht aus der Kirche hinaustragen. Das ist es, was der alte Mann vor der Kirche mit «Er macht es gut» gemeint hat.

Übrigens: Ein anderer Mann hatte auf meine Frage nach Konrad doch noch eine weiterführende Antwort. «Das war ein Bischof von Konstanz, im 9. Jahrhundert.» Das Fenster im Chor der Kirche St. Konrad zeigt den gekreuzigten Christus, Maria und etwas abseits den Kirchenpatron mit Kelch. Konrad soll sich aufgrund seiner Selbstbeherrschung einen Namen gemacht haben. Einer Legende zufolge hat er eine Spinne, die im Messwein schwamm, mitgetrunken, weil er den gewandelten Wein nicht wegschütten wollte.

Noch ein Name ist erwähnenswert: Marco Wyrsch. Der 29-Jährige spielt seit eineinhalb Jahren die Orgel in der Albisrieder Kirche. Und wie! Beethovens temperamentvolles Klavierrondo «Wut über den verlorenen Groschen» hat der studierte Musiker eigenhändig für die Orgel bearbeitet – und mit einer Lebhaftigkeit vorgetragen, die ich mir in der Kirche öfters wünschte. Beeindruckend virtuos spielte Wyrsch auch das Adagio cantabile der «Sonate Pathétique», ebenfalls von Beethoven. Die Botschaft von Weihnachten klingt nach. Ob solcher Musik kann man Konrad getrost vergessen.

 

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